Interview mit TVINNA: Im Kreise starker Frauen

Tvinna - One In The Dark (c) woods of voices (c) woods of voices

TVINNA wurde 2017 von Laura Fella (Faun), Fiona Rüggeberg (Ex-Faun) und Fieke van den Hurk (Musikerin und Produzentin) gegründet. Zu Beginn ebenfalls mit dabei: Fabienne Erni (Eluveitie), die (aus zeitlichen Gründen) zwar kein fester Bestandteil mehr, jedoch stets gern gesehener Gast ist. So auch bei The Gore, welches während der ersten intensiven Schreib-Session 2019 entstand. Heute besteht TVINNAs Herz aus Fiona, Laura und Fieke, unterstützt durch Gitarrist Rafael Salzmann (Eluveitie) und Schlagzeuger Jasper Barendregt (Ex-Ulsect).

Wir haben mit Fiona und Fieke über Verbundenheit und Mythologie gesprochen, sowie dem, das all dies vereint: Ihre Musik, formvollendet in One – In The Dark (Anzeige).

TVINNAs Geburt(-stag)

Herzlichen Glückwunsch zu eurem überaus erfolgreichen Debüt! Die ersten Reaktionen sind durchweg positiv und das Album muss sogar nachproduziert werden. Wie fühlt ihr euch damit?

Fiona: Fantastisch! Wir sind total überwältigt von der positiven Resonanz und sehr glücklich. Eigentlich wollten wir das Album schon letztes Jahr veröffentlichen, waren uns jedoch unsicher wegen der ganzen Lockdown-Sache. Jetzt wollten wir nicht mehr warten und endlich unsere Musik präsentieren. Immerhin haben wir zwei Jahre daran gearbeitet.

Fieke: Um ehrlich zu sein – für mich fühlt es sich ein bisschen wie Geburtstag an. Ich bin immer noch ganz aufgeregt.

Für diejenigen, die euch noch nicht kennen – was bedeutet TVINNA?

Fiona: Tvinna ist ein skandinavisches Wort und bedeutet so viel wie Verflechtung, Verbindung, etwas miteinander verstricken. Im Prinzip steht es für unsere Verbindung zueinander und zu unserer Musik – auch hinsichtlich der unterschiedlichen musikalischen Herkunft. All das wird miteinander verwoben.

Anmerkung: Tvinna kommt aus dem Altnordischen. In den modernen Sprachen variiert die wörtliche Übersetzung leicht. Im Isländischen (tvinni) heißt es Schnur oder Zwirn, im Schwedischen (tvinna) zwirnen, winden oder drehen, ebenso wie im Norwegischen (tvinne). Kontext und Bedeutung sind also in etwa gleich.

One – In The Dark ist das erste von insgesamt vier geplanten Konzeptalben, wobei jedes einen anderem Stadium des Lebens und einem zentralen Element gewidmet ist. Was könnt ihr darüber erzählen und was bedeutet das für euch?

Fiona: Generell sind wir Konzeptalben sehr zugetan, denn so steht ein Song nicht allein für sich. Alles ist Teil eines Ganzen, einer Geschichte. Auf diese Weise kann man ein Thema von mehreren Seiten aus betrachten. Wir wollen die verschiedenen Etappen des Lebens aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. Mit jedem Stadium verbinden wir ein anderes Element. One – In The Dark ist das erste Kapitel, also der Beginn allen Lebens, bei dem Wasser das zentrale Element ist.

Fieke: Die vier Grundelemente sind ja hinlänglich bekannt. Diese können gut mit den Stadien des Lebens verknüpft werden. Demnach werden sich die nächsten Alben dahingehend ausrichten.

Fiona: Wir arbeiten bereits an neuen Songs. Manche davon gibt es schon eine Weile, andere sind noch in Arbeit. Allerdings wissen wir noch nicht, wann diese veröffentlicht werden.

Wie ist die Idee entstanden, traditionelle, teilweise fast vergessene Instrumente mit modernem elektrischen Sound zu kombinieren?

Fieke: Der Gedanke dazu hat in uns allen irgendwo geschlummert. Ich selbst habe in traditionellen Bands gespielt, wo dies nicht möglich war. Jedoch hören wir alle auch gern moderne Musik und nehmen den Klang und die Kraft moderner Elemente wahr. Ich habe schon oft gedacht: „Warum soll man das nicht kombinieren?“. Mein Hauptinstrument war immer das Akkordeon. Als Teenager habe ich auch Keyboard gespielt, denn ein Akkordeon war nicht cool. Eines Tages habe ich mir dann überlegt, dass ich solche Klänge auch mit dem Akkordeon erzeugen könnte, wenn ich einen Verzerrer anschließe. Dadurch haben sich mir so viele Möglichkeiten eröffnet, mich auszudrücken, wie ich es mit dem Keyboard niemals könnte. Vielleicht sollten wir das auch mal mit dem Dudelsack versuchen.

Fiona: Das wollte ich schon immer mal probieren, bin aber leider technisch nicht so versiert. Es gab auch nie einen Plan dahinter, wie Tvinna klingen soll. Wir haben uns zusammengesetzt, über persönliche Präferenzen gesprochen und dann alles miteinander kombiniert. Es hat sich ganz natürlich entwickelt und wir lassen es einfach passieren.

Tvinna_Fieke & Fiona_Interview (c) woods of voices
Skype-Interview mit Fieke & Fiona

Die Welt der Mythen und Legenden als Inspiration

Als jemand, der sich sehr für Mythologie und Geschichte interessiert, würde ich gerne näher auf diese Dinge eingehen. In einigen (alten) Kulturen hat die Zahl 9 eine besondere Bedeutung. Da das Album genau neun Songs umfasst, frage ich mich, ob das bei euch auch der Fall ist?

Fieke: Dahinter verbirgt sich keine versteckte Botschaft, aber wir sind uns schon bewusst, dass die Zahl eine tiefere Bedeutung hat. Für uns im speziellen ist es das Produkt aus drei mal drei und steht für uns.

Fiona: Es fühlte sich richtig an und komplettiert alles. Neun gilt ja auch als Zahl der Vollkommenheit.

Ihr schöpft offenbar viel Inspiration aus germanischer und nordischer Folklore. Wie sehr seid ihr mit diesen Kulturkreisen und ihren Legenden verbunden?

Fiona: Musikalisch und persönlich bewegen wir uns alle schon viele Jahre in diesen Traditionen und so haben sie auch Einfluss auf unsere Musik. Natürlich greifen wir diese Themen in unseren Liedern auf, versuchen aber stets, sie auf unsere eigenen, persönlichen Erfahrungen zu transportieren. Eigentlich ist es sogar so, dass unsere Texte eher persönlicher Natur sind und lediglich in dieses mythologische Gewand gekleidet sind, da meist irgendwo eine Verbindung besteht.

Fieke: Diese Traditionen und alles, was wir bisher gemacht haben, sind Teil von uns und dem, was wir tun. Wir fühlen uns dem nach wie vor eng verbunden, also ist es quasi unausweichlich. Wir versuchen dennoch immer, diese mythischen Dinge nicht einfach nur darzustellen, sondern unsere eigenen Interpretationen auszudrücken. Jemand, der sich mit der Mythologie nicht auskennt, würde die Verbindung demnach wahrscheinlich nicht bemerken.

Die wilde Jagd“ ist solch eine Erzählung, die in zahlreichen Kulturen existiert. Abhängig von der Region gibt es unterschiedliche Auslegungen. In „Wild Hunt“ habt ihr euch offensichtlich an diesem Thema orientiert. Welche Interpretation greift ihr hier auf?

Fiona: Für mich handelt der Song nicht von der wilden Jagd im traditionellen Sinne. Es geht also nicht um die Jagd, bei der die guten Menschen belohnt und die bösen bestraft werden. Das Lied beschreibt vielmehr eine nächtliche Jagd, bei der Frauen auf der Suche nach ungeborenen Seelen sind, mit der Aussicht neues Leben erschaffen zu können.

12“ („perat“) glänzt mit treibenden Rhythmen. In meiner Vorstellung tanzt eine Gruppe von Frauen ekstatisch im Feuerschein. Ich habe außerdem gelesen, dass ihr hier Bezug auf die 12 Rauhnächte nehmt. Warum habt ihr euch speziell für dieses Thema entschieden?

Fiona: Das ist wohl die stärkste Erscheinung in unserem Kulturkreis, wie ich schon selbst erfahren durfte. Ich habe diese Zeit schon häufig nahe der Alpen verbracht und diese spezielle Energie erlebt. Ich habe demnach eine besondere Verbindung zu dem Thema und fand diese starke, weibliche Persönlichkeit schon immer faszinierend. Diese Kultur wird weitestgehend nicht mehr gelebt, ist fast vergessen und nur wenigen Menschen zugänglich – jenen, die sich dafür interessieren und damit verbunden sind.
Und ja, dieser Song ist definitiv einer unserer „Dance-Tracks“. Live wird das sicher eine große Party.

Anmerkung: „Perat“ bedeutet hell, leuchtend und hat seinen Ursprung bei der mythischen Gestalt Perchta (auch Berchta, Holla…), welche unter anderem die wilde Jagd anführt. Dieser Glaube ist noch heute – vorwiegend in der Alpenregion – verbreitet. Mehr dazu könnt ihr in unserem Special zu den Rauhnächten lesen.

Licht und Schatten

Jedes einzelne Lied hat eine persönliche Ebene. „Inside The Dark“ scheint jedoch besonders intim zu sein. Der Kontrast aus wütenden, fast verstörenden Breaks und sehr zarten, beinahe zerbrechlichem Gesang geht bis ins Mark. Gegen Ende klart die Stimmung merklich auf und uns erwartet der Herzschlag von Lauras (damals noch ungeborener) Tochter. Was ist die Geschichte hinter dem Song?

Fieke: Das ist ein sehr persönlicher Song von Laura. Darin geht es um das Gefühlschaos, welches man nach einer Fehlgeburt durchlebt: Trauer, Wut, aber auch das Überwinden solch eines Schicksalsschlags. Ich selbst kann mir das nur schwer vorstellen, da ich diese Erfahrung noch nicht machen musste… Es muss ein schreckliches Gefühl sein. Der Song, wie auch Lauras Weg nehmen jedoch ein gutes Ende, denn schlussendlich erblickt ein neues Leben das Licht der Welt.

Eins meiner absoluten Favoriten ist „Partus“. Das Besondere daran ist der Umfang und die Varietät eurer Stimmen. Während Refrain und Ende sehr hoch gesungen werden (unterstützt von Sopranistin Jessey-Joy Spronk), sind die Strophen sehr tief – so tief, dass manche denken, es handle sich um männliche Stimmen. (Wer Fiona und Laura bereits von Faun kennt, weiß um ihr Stimmvolumen.) Wie denkt ihr über derlei Kommentare/Behauptungen?

Fiona: Wir wollten unbedingt einen Song schreiben, bei dem wir so tief singen, wie wir können. Meistens ist es leider so, dass Frauen mit einer hohen Stimme assoziiert werden und nur das als „schön“ gilt. Wir wollten einfach mit diesem Maßstab brechen und zeigen, dass es auch anders geht. Vielen ist nicht klar, dass wir beide sehr tief singen können, also denken sie: „Das können nur männliche Stimmen sein!“. Um diese Stimmlage erreichen zu können muss ich jedoch absolut entspannt sein. Für Live-Auftritte muss ich das demnach noch ein wenig üben.

Fieke: Ich finde es großartig, wie der Song eine Seite von Frauen zeigt, die man nicht so oft sieht: Sehr kraftvoll, ein wenig düster, vielleicht auch etwas angsteinflößend, sonderbar und fremdartig. Das ist einfach brillant.

Zukunftsmusik

Eines Tages werden (hoffentlich) auch wieder Konzerte stattfinden. Wie können wir uns eine TVINNA-Show vorstellen? Auf welches Lied freut ihr euch diesbezüglich am meisten?

Fiona: Es wird spektakulär werden!

Fieke: Wir hatten letztes Jahr schon einige große Sachen geplant. Es wird auf jeden Fall darüber hinausgehen, dass wir einfach nur die Songs spielen – wir wollen ein Erlebnis daraus machen. Die Stimmung, die wir bereits in den Videos, dem Albumcover und der Musik selbst dargestellt haben und transportieren möchten, wird sich auf der Bühne widerspiegeln.

Fiona: Wir planen auch schon eine Tour und können es kaum erwarten, unsere Songs endlich live präsentieren zu dürfen. Im Bereich des Möglichen hatten wir auch schon ein paar Proben, bei denen wir die Songs zum ersten Mal komplett zusammen gespielt haben. Das war großartig!

Fieke: Es hat sich irgendwie magisch angefühlt.

Tvinna_Band (c) TVINNA
Von links nach rechts: Laura, Rafael, Fiona, Jasper, Fieke

Ursprünglich wurde TVINNA ja als rein weibliches Projekt gegründet. Die Themen, die ihr in euren Songs verarbeitet haben ebenfalls einen starken femininen Touch. Wie passen Rafael und Jasper da hinein?
Und könnt ihr euch vorstellen, in Zukunft auch mal mit einem männlichen Gastsänger zu arbeiten, wenn es passt?

Fiona: Die beiden geben uns Rückenwind und bereichern Tvinna um so vieles. Die Wand aus Bass, Gitarre und Schlagzeug trägt unseren Gesang und das ist die perfekte Kombination für uns. Es ist genauso, wie wir uns das vorgestellt haben und wir sind sehr glücklich damit.

Fieke: Sie sind ebenso detailverliebte Vollblutmusiker wie wir und geben dem ganzen Sound etwas erdiges. Es war auch nie unser Anliegen, dass Tvinna ein rein weibliches Projekt bleibt, demnach sind wir sehr froh, dass sie dabei sind. Menschlich und musikalisch vervollständigen sie uns.

Fiona: Der Grundgedanke lag immer auf dem rein weiblichen Gesang und das werden wir wohl auch so beibehalten. Wie eine Art Schwesternschaft, die sich gegenseitig unterstützt.

Place To Be

In den vergangenen Monaten und Jahren ist bei jeder von euch einiges passiert. Würdet ihr sagen, dass ihr jetzt angekommen seid – persönlich und künstlerisch?

Fiona: Defintiv! Es fühlt sich gut und richtig an. Nachdem ich mit der Schule fertig war, habe ich angefangen bei Faun zu spielen und auf Tour zu gehen. Es war eine wirklich tolle Zeit und ich möchte das keineswegs missen. An einem bestimmten Punkt merkte ich jedoch, dass es an der Zeit war auszusteigen, meinen eigenen Weg zu gehen und mich weiterzuentwickeln. Ich habe so viele Seiten und Interessen und wollte dahingehend einfach frei sein – raus aus der Mittelalter-Schublade. Jetzt kann ich zu 100% tun, wonach mir ist. Das ist auch die Grundlage für Tvinna – jeder kann und soll sich frei entfalten und wir unterstützen uns dabei gegenseitig. Es ist einfach eine tolle Arbeitsatmosphäre.

Fieke: Ich habe im Laufe der Jahre in vielen Bands gespielt. Irgendwann habe ich für mich beschlossen, komplett mit der „aktiven“ Musik aufzuhören und mich auf meine Studioarbeit konzentriert. Ich war auch nie eine Vollzeitmusikerin und habe mich daher auf der Bühne immer etwas fehl am Platz gefühlt. Als ich nach zwei Jahren Abstinenz zum ersten Mal wieder auf der Bühne stand – mit Eivør – merkte ich, dass ich es schon irgendwie vermisse. Da realisierte ich, dass es doch Teil von mir ist.
Als Fiona und Laura gefragt haben, ob ich ihre Musik produzieren würde, war ich sofort dabei. Als wir uns dann trafen, passierte es einfach: Sie haben mich gefragt, ob ich Teil der Band werden möchte und ehe ich es realisierte, habe ich „Ja“ gesagt. Ich bin sozusagen wieder angekommen und das fühlt sich richtig an.

Fazit:

Wir verfolgen dieses Projekt schon von Anfang an und waren sehr gespannt auf die ersten Töne – wohl wissend, dass es besonders werden würde. Das Resultat hat jedoch unsere Erwartungen übertroffen und uns schlichtweg umgehauen. Der Gedanke, das Gefühl hinter TVINNA weist so einige Parallelen zu uns und unserer Geschichte auf, dass wir uns vom ersten Moment an mit jedem einzelnen Lied verbunden gefühlt haben.

Das gesamte Album hat etwas kraftvolles, befreiendes und zugleich auch berührendes, fragiles an sich. Die ersten Single-Auskopplungen „The Gore“ und Kreiz (feat. Eivør) stehen symbolisch für all diese Emotionen, die beim Hören Gänsehaut bescheren. Es ist schlichtweg ein intensives Hörerlebnis, wenn man sich darauf einlässt.

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